
Anhang M - Empfehlungen für Schiedsgerichte
Zusatz DSV, OeSV und Swiss Sailing zu Anhang M:
Die Verbände empfehlen für die Bildung eines unabhängigen Schiedsgerichtes
mindestens 3 Schiedsrichter. Für Regatten nationaler oder internationaler
Bedeutung sollte davon mindestens einer ein von den jeweiligen Verbänden
anerkannter „nationaler“ Schiedsrichter sein.
Dieser Anhang ist nur als Empfehlung gedacht; unter gewissen Umständen
können Änderungen dieses Verfahrens ratsam sein. Er richtet sich vor
allem an den Vorsitzenden des Schiedsgerichts, kann aber auch Schiedsrichtern,
Jurysekretären, Wettfahrtleitungen und anderen, die sich mit Protest- und
Wiedergutmachungsverhandlungen befassen, von Nutzen sein.
In einer Protest- oder Wiedergutmachungsverhandlung sollte das Schiedsgericht
alle Aussagen mit gleicher Sorgfalt prüfen. Es sollte berücksichtigen,
dass guten Glaubens gemachte Aussagen als Ergebnis unterschiedlicher Beobachtungen
und Erinnerungen verschieden und sogar widersprüchlich sein können.
Es sollte versuchen, solche unterschiedlichen Aussagen so gut wie möglich
aufzuklären. Es sollte ferner anerkennen, dass ein Boot oder Teilnehmer
so lange nicht schuldig ist, bis sein Verstoß gegen eine Regel vom Schiedsgericht
eindeutig als erwiesen festgestellt wurde.Es sollte sich nicht festlegen, bis
alle Beweise darüber vorliegen, ob ein Boot oder ein Teilnehmer gegen eine
Regel verstoßen hat.
M1 Vorbereitungen (kann durch das Wettfahrtbüro erledigt werden)
- Entgegennahme des Protests oder des Antrags auf Wiedergutmachung.
- Vermerken der Eingangszeit des Protestes oder des Antrags und des Endes
der Protestfrist auf dem Protestformular.
- Die Parteien sowie ggf. die Wettfahrtleitung über Zeit und Ort der
Verhandlung unterrichten.
M2 Vor der Verhandlung
M2.1 Es ist zu gewährleisten, dass
- alle Parteien Kopien des Protestes oder des Wiedergutmachungsantrages besitzen
oder Gelegenheit haben, den Protest oder Antrag durchzulesen, und für
die Vorbereitung auf die Verhandlung angemessen Zeit haben.
- kein Mitglied des Schiedsgerichtes interessierte Partei ist. Die Parteien
sind zu fragen, ob sie Einwände gegen ein Mitglied haben. Ist Wiedergutmachung
nach Regel 62.1(a) beantragt, sollte ein Mitglied der Wettfahrtleitung nicht
Mitglied des Schiedsgerichtes sein.
- nur eine Person von jedem Boot (oder jeder Partei) anwesend ist, sofern
nicht ein Übersetzer benötigt wird.
- alle betroffenen Boote und Personen vertreten sind. Andernfalls kann jedoch
das Schiedsgericht nach Regel 63.3(b) verfahren.
- die Vertreter der Boote an Bord waren, falls erforderlich (Regel 63.3(a)).
Sind die Parteien aus verschiedenen Wettfahrten, müssen beide Veranstalter
mit der Zusammensetzung des Schiedsgerichts einverstanden sein (Regel 63.8).
In einem Vermessungsprotest sind die geltenden Klassenvorschriften zu besorgen
und die für ihre Interpretation zuständige Stelle ausfindig zu machen
(Regel 64.3(b)).
M2.2 Feststellung, ob irgend ein Mitglied des Schiedsgerichts den Vorfall
gesehen hat. Wenn das der Fall ist, ist es erforderlich, dass jeder von ihnen
diese Tatsache in Gegenwart der Parteien bekannt gibt (Regel 63.6).
M3 Die Verhandlung
M3.1 Die Gültigkeit des Protestes oder des Antrags auf Wiedergutmachung
prüfen:
- Ist der Inhalt ausreichend (Regel 61.2 oder 62)?
- Ist er rechtzeitig eingereicht? Gibt es, wenn das nicht der Fall ist, Gründe,
die Frist zu
verlängern (Regel 61.3 oder 62.2)?
- Falls erforderlich: War der Protestführer in den Vorfall verwickelt
oder war er Zeuge des
Vorfalls (Regel 60.1(a))?
- Wurde, falls notwendig, ‘Protest’ gerufen und die Protestflagge richtig
gesetzt (Regel
61.1(a))?
- Wurde der Protestgegner informiert, falls Zuruf oder Flagge nicht notwendig
waren?
- Es ist zu entscheiden, ob der Protest oder der Antrag auf Wiedergutmachung
gültig ist
(Regel 63.5).
- Ist über die Gültigkeit des Protestes oder des Antrags auf Wiedergutmachung
entschieden, lassen Sie diesen Fall nicht erneut zur Verhandlung zu , wenn
nicht wirklich neue Beweise vorgebracht werden.
M3.2 Beweisaufnahme (Regel 63.6)
- Fragen Sie den Protestführer und danach den Protestgegner nach ihrer
Darstellung. Erlauben Sie ihnen danach, sich gegenseitig zu befragen. In einer
Wiedergutmachungsverhandlung ist die Partei zu bitten, den Antrag zu erklären.
- Bitten Sie die Mitglieder des Schiedsgerichts, Fragen zu stellen.
- Vergewissern Sie sich, dass Sie die von jeder Partei behaupteten Fakten
kennen, die jede der Parteien behauptet, bevor Sie einen Zeugen aufrufen.
Dessen Darstellung kann davon abweichen.
- Erlauben Sie jedem, auch der Mannschaft eines Bootes, Zeugenaussagen zu
machen. Die Partei muss im Normalfall entscheiden, welche Zeugen aufzurufen
sind, obwohl auch das Schiedsgericht Zeugen aufrufen kann (Regel 63.6) Die
Frage ‘Möchten Sie N hören’ ist am besten zu beantworten mit: ‘Es
ist ihre Wahl’.
- Rufen Sie die Zeugen der Parteien (und des Schiedsgerichts, wenn vorhanden)
nacheinander auf. Schränken Sie die Befragung der Zeugen durch die Parteien
ein (sie könnten abschweifen.)
- Fordern Sie zuerst ist den Protestgegner auf, den Zeugen des Protestierenden
zu befragen (und umgekehrt). Das verhindert, dass der Protestierende seinen
Zeugen von Anfang an beeinflusst.
- Gestatten Sie einem Mitglied des Schiedsgerichts, das den Vorfall sah, als
Zeuge auszusagen (Regel 63.6), aber nur in Gegenwart der Parteien. Mitglieder
die Aussagen machen, dürfen befragt werden und sollen darauf achten,
dass sie alles über den Vorfall berichten, was die Entscheidung beeinflussen
kann, und sie bleiben weiterhin im Schiedsgericht (Regel 63.3(a)).
- Versuchen Sie, Suggestivfragen und Aussagen nach dem Hörensagen zu
vermeiden. Ist das jedoch nicht möglich, sind solche Aussagen nicht zu
berücksichtigen.
- Lassen Sie schriftliche Aussagen eines Zeugen, der nicht erreichbar ist
um befragt zu werden, nur zu, wenn alle Parteien einverstanden sind. Wenn
man dies tut entfällt für sie die Möglichkeit, diesen Zeugen
zu befragen (Regel63.6).
- Fordern Sie ein Mitglied des Schiedsgerichtes auf, die Aussagen zu protokollieren,
insbesondere Zeiten, Abstände, Geschwindigkeiten usw.
- Bitten Sie zuerst der Protestierenden, dann den Protestgegner, eine abschließende
Darlegung seines Falles zu geben, insbesondere hinsichtlich Anwendung oder
Auslegung der Regeln.
M3.3 Ermittlung des Sachverhalts (Regel 63.6)
- Die Fakten sind niederzulegen, Zweifel so oder so zu beseitigen.
- Die Parteien sind, wenn notwendig, für weitere Fragen zurückzurufen.
- Wenn zweckmäßig, ist eine Skizze des Vorfalls unter Verwendung
des ermittelten Sachverhalts anzufertigen.
M3.4 Entscheidung des Protestes oder des Antrags auf Wiedergutmachung
(Regel 64).
- Die Entscheidung ist auf den ermittelten Sachverhalt zu gründen. (Ist
das nicht möglich, sind weitere Fakten zu ermitteln.)
- Achten Sie bei Wiedergutmachungsfällen darauf, dass keine weiteren
Angaben über Boote benötigt werden, die durch die Entscheidung betroffen
sind.
M3.5 Informieren der Parteien (Regel 65)
- Die Parteien sind wieder herbeizurufen, und es ist ihnen der ermittelte
Sachverhalt, die Schlussfolgerungen und die anwendbaren Regeln sowie die Entscheidung
zu verlesen. Drängt die Zeit, ist es erlaubt, die Entscheidung zu verlesen
und Einzelheiten später bekannt zu geben.
- Jeder Partei ist eine Kopie der Entscheidung auf Verlangen auszuhändigen.
Das Protestformular oder der Antrag auf Wiedergutmachung ist in die Unterlagen
des Schiedsgerichtes einzuordnen.
M4 Wiederaufnahme einer Verhandlung (Regel 66)
M4.1 Wird ein Antrag auf Wiederaufnahme einer Protestverhandlung
rechtzeitig eingereicht, ist die Partei, die den Antrag stellt, anzuhören,
Videobänder sind anzusehen usw. und zu entscheiden, ob das Material neue
Beweise liefert, die dazu führen könnten, die frühere Entscheidung
zu ändern. Es ist zu entscheiden, ob die Auslegung der Regeln falsch gewesen
sein könnte; der Frage, ob man einen Fehler gemacht hat, muss man aufgeschlossen
gegenüberstehen. Trifft nichts davon zu, ist die Wiederaufnahme abzulehnen;
anderenfalls ist eine Verhandlung anzusetzen.
M4.2 Ein Beweismittel ist „neu“,
• wenn es für die eine Wiedereröffnung beantragende Partei nicht
vernünftigerweise möglich war, das Beweismittel bereits vor der ursprünglichen
Verhandlung zu finden,
• wenn das Schiedsgericht überzeugt ist, dass vor der ursprünglichen
Verhandung das Beweismittel zwar vorhanden war, aber von der die Wiedereröffnung
beantragenden Partei gewissenhaft aber ohne Erfolg gesucht wurde, oder
• wenn das Schiedsgericht aus beliebiger Quelle erfährt, dass das
Beweismittel den Parteien zum Zeitpunkt der ursprünglichen Verhandlung
nicht zur Verfügung stand.
M5 Grobes Fehlverhalten (Regel 69)
M5.1 Maßnahmen aufgrund dieser Regel stellen keinen Protest
dar; vielmehr händigt das Schiedsgericht dem Teilnehmer vor der Verhandlung
schriftlich die gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen aus. Die Verhandlung
wird nach den gleichen Regeln wie bei anderen Verhandlungen durchgeführt,
wobei das Schiedsgericht aus mindestens drei Mitgliedern bestehen muss (Regel
69.1 (b)). Dabei ist auf die Wahrung der Rechte des Teilnehmers besonders sorgfältig
zu achten.
M5.2 Ein Teilnehmer bzw. ein Boot kann nicht aufgrund von Regel 69
protestieren; das Protestformular eines Teilnehmers, der dies versucht, kann
jedoch als Mitteilung an das Schiedsgericht behandelt werden, das dann darüber
entscheiden kann, ob eine Verhandlung einberufen werden soll.
M5.3 Ist aufgrund eines zu Teil 2 gehörenden Zwischenfalls die
Einberufung einer Verhandlung nach Regel 69 wünschenswert, dann ist es
wichtig, dass das Schiedsgericht zunächst alle Boot-gegen-Boot-Proteste
normal verhandelt und darüber entscheidet, welches Boot, wenn überhaupt,
welche Regel verletzt hat, bevor es gegen den Teilnehmer nach dieser Regel vorgeht.
M5.4 Auch wenn bei Maßnahmen nach Regel 69 gegen einen Teilnehmer
und nicht gegen ein Boot vorgegangen wird, kann auch ein Boot bestraft werden
(Regel 69.1(b)).
M5.5 Das Schiedsgericht kann den Teilnehmer verwarnen (Regel 69.1(b)(1).
In diesem Fall muss kein Bericht an den Nationalen Verband gegeben werden (Regel
69.1(c)). Wird eine Strafe auferlegt und ein Bericht wie in Regel 69.1(c) oder
69.1(e) gefordert, ist es hilfreich zu empfehlen, ob weitere Maßnahmen
ergriffen werden sollten oder nicht.
M6 Berufungen (Regel 70 und Anhang F)
Wenn Entscheidungen berufungsfähig sind,
- sind die die Verhandlung betreffenden Papiere so zu hinterlassen, dass sie
ohne Schwierigkeiten für eine Berufung verwendet werden können.
Gibt es eine zutreffende oder eine vom Schiedsgericht angefertigte Skizze?
Ist der ermittelte Sachverhalt ausreichend? (Beispiel: Gab es eine Überlappung?
JA/NEIN. ’Vielleicht’ ist kein ermittelter Fakt). Sind die Namen der Mitglieder
des Schiedsgerichts und weitere wichtige Informationen auf dem Formular ?
- Kommentare des Schiedsgerichts zu einer Berufung sollte das Berufungsgericht
in die Lage versetzen, sich den ganzen Vorfall deutlich vorzustellen; das
Berufungsgericht weiß nichts über die Situation.
M7 Fotografische Beweismittel
Fotografien und Videos können manchmal nützliche Beweismittel darstellen,
doch das Schiedsgericht sollte ihre Grenzen kennen und sich die folgenden Punkte
merken:
- Die Partei, die fotografische Beweismittel liefert, ist verantwortlich
für die Besorgung der Anschaumöglichkeit.
- Das Band ist mehrmals anzusehen, um alle Informationen herauszubekommen.
- Die Tiefenschärfe jeder Einlinsen-Kamera ist sehr beschränkt,
bei einem Teleobjektiv ist sie nicht vorhanden. Sieht die Kamera zwei überlappende
Boote im rechten Winkel zu ihrem Kurs, ist es unmöglich, den Abstand
zwischen ihnen einzuschätzen. Sieht die Kamera sie von vorn oder von
hinten, ist es unmöglich zu sehen, ob eine Überlappung besteht,
sofern sie nicht sehr deutlich vorhanden ist.
- Folgende Fragen sind zu stellen:
- Wo war die Kamera in Bezug auf die Boote?
- Bewegte sich die Unterlage der Kamera? Wenn ja, in welcher Richtung
und wie schnell?
- Änderte sich der Winkel, als die Boote den kritischen Punkt erreichten?
Schnelles Schwenken verursacht beträchtliche Änderung.
- Hatte die Kamera die ganze Zeit uneingeschränkte Sicht?